02.03.2021 Haushaltsrede von Maja Roth-Schmidt, stellvertr. Fraktionssprecherin zur Sitzung des Stadtrats am 2. März 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Corona-Pandemie wird uns noch lange beschäftigen. Auch wenn das Virus längst besiegt ist werden wir noch lange mit den Folgen zu kämpfen haben – nicht nur auf der finanziellen Seite. Ich sehe in der Viersener Politik allerdings auf allen Seiten des demokratischen Spektrums den großen Willen, zusammenzuarbeiten und gemeinsam mit der größten gesellschaftlichen Krise fertig zu werden, der sich unsere Stadt in den letzten 75 Jahren stellen musste.

Die Bekämpfung der Pandemie und der zwingend nötige Lockdown haben nicht nur die größte Rezession seit der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 ausgelöst, sondern auch unsere Einwohnerinnen und Einwohner auf das Äußerste belastet – sei es durch die Sorge um die wirtschaftliche Existenz und um die Bildungschancen unserer Kinder, um das Leben der älteren Generation oder auch einfach durch die Angst vor einer Krankheit, von der man nicht weiß, wie man selbst mit ihr fertig würde, wenn man sie selbst hätte. Unsicherheit und Ungewissheit bestimmen derzeit die Situation. Und das gilt leider auch für die zukünftige Entwicklung der städtischen Finanzen.

Wo Wirtschaft und Gesellschaft heruntergefahren werden, sind die kommunalen Haushalte unmittelbar betroffen. Wo ganze Wirtschaftszweige stillgelegt sind, brechen Einnahmen aus der Gewerbesteuer zwangsläufig ein. Auch bei den Einnahmen aus Gebühren sind starke Einbrüche zu verzeichnen. Auf der anderen Seite steigen die Kosten. Noch haben die Hilfen von Bund und Land vieles aufgefangen. So sind wir 2020 noch mit einem blauen Auge davongekommen. Aber so wird das nicht bleiben. Die kommenden zwei Haushalte werden die schwersten werden. Es werden zwei schwierige Jahre. Danach werden wir entscheiden, müssen, ob wir zukünftige Generationen mit den Spätfolgen belasten wollen und auf Bilanzierungshilfen zurückgreifen, mit denen der wirtschaftliche Schaden der Pandemie über einen Zeitraum von 50 Jahren auf unsere Kinder und Enkelkinder abwälzen wollen. Ich meine, wir sollten auf diesen Buchhaltertrick verzichten, soweit und solange es geht.

Über diese Fragen sollten wir allerdings andere Krisenszenarien nicht aus den Augen verlieren, die sich wesentlich schwerer auswirken werden als das Corona-Virus. Wir können gewiss sein, dass wir die Pandemie mit Hilfe von Medizin und Wissenschaft schon in absehbarer Zeit besiegen werden. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, sollten wir uns nicht fragen müssen: Was haben wir in der Zwischenzeit gegen Artensterben, Umweltverschmutzung, Flächenfraß und Klimawandel unternommen, als wir damals noch die Möglichkeit dazu hatten. Gerade beim Klimawandel stellen die Fachleute fest, dass nur noch ein kleines Zeitfenster offen ist, um einen grundlegenden Wandel herbeizuführen und unsere Volkswirtschaften zu dekarbonisieren – sprich: auf Erdölprodukte und Erdgas vollständig zu verzichten.

Ich hege allerdings die große Hoffnung, dass wir Grünen mit diesen Themen nicht länger allein dastehen – auch in Viersen nicht. Wir haben in der letzten Ratsperiode bereits sehr konstruktive Ideen und Anträge anderer Ratsfraktionen unterstützen können, die sich für eine nachhaltige und umweltgerechte Mobilität oder den Schutz von Natur und Umwelt eingesetzt haben. Auch wenn wir es im November 2019 nicht geschafft haben, eine politische Mehrheit für die Erklärung des Klimanotstands zu finden, so sehe ich doch den fraktionsübergreifenden Konsens, das Thema Klimaschutz in Viersen aktiv anzugehen.

Der Haushaltsentwurf, den wir heute beschließen sollen, ist aber leider kein „Klimahaushalt“. Er ist eben doch eher ein „Corona-Haushalt“. Der große Plan für den Klimaschutz in Viersen, den der Rat im November 2019 für das Jahr 2020 gefordert hat, vermittelt sich uns in diesen Zahlen nicht. Vielleicht liegt es an den Einschränkungen der Pandemie, aber wir sind doch gezwungen festzustellen: Die Verwaltung hat den Ratsbeschluss nicht umgesetzt, einen Gesamtplan für den Klimaschutz in Viersen bis Ende 2020 vorzulegen. Ich möchte daher heute erneut appellieren: Lassen Sie uns nicht warten, bis auch der Letzte den Knall gehört hat. Lassen Sie uns sofort einen Prozess starten, der Ökonomie und Ökologie vor Ort zusammenbringt, in den sich unsere Unternehmen ebenso einbringen können, wie unsere Einwohnerinnen und Einwohner. Lassen Sie uns den Schutz von Klima, Natur und Umwelt hier in Viersen aktiv leben!

Immerhin: Wenn auch nicht „sofort“, aber eben „doch“ zeichnet sich in diesem Haushalt der Wille ab, die Maßnahmen umzusetzen, die wir im Juni des vergangenen Jahres als „Klimaschutz-Sofortprogramm“ verabschiedet haben. Fünfeinhalb neue Stellen für den Klimaschutz und über zwei Jahre betrachtet eine Million Euro für städtische Solaranlagen können wir nicht übersehen. Wir begrüßen diesen Teil sehr und möchten ihn auch nicht kleinreden. Allerdings fragen wir uns: Warum erst jetzt? Dass Photovoltaik Gewinn abwirft, dass wir ohne neue Personalressourcen keine neuen Aufgaben bewältigen können – das wussten wir doch auch schon im November 2019, als dieses Gremium so intensiv wie selten mit dem Klimathema gerungen hat. Das wissen wir schon seit Jahren und Jahrzehnten. Warum erst jetzt? Die Antwort ist klar: Weil erst jetzt der Druck von außen durch die von Greta Thunberg angestoßenen Klimabewegung groß genug war, um auch in Viersen etwas zu bewegen!

Doch wir werden auch jetzt noch weiter warten müssen. Wie schon so lange: Warten auf bessere Radwege, auf die digitale und klimaneutrale Verwaltung, auf das lange angekündigte und nie vorgelegte „Zukunftskonzept Stadtgrün“ – wir warten und warten und warten weiter…

Nein, wir sehen noch keinen Plan in Politik und Verwaltung, wie wir hier in Viersen insgesamt nachhaltig leben wollen, wie wir mehr zum Klimaschutz beitragen können und uns dem Klimawandel anpassen, wie wir mehr Natur in unsere Stadt bekommen, wie wir sicher und bequem mit dem Rad von A nach B kommen. Die Verwaltung hat auch insgesamt keinen Master-Plan, wie wir unser großes Potenzial als lebens- und liebenswerte Mittelstadt am Niederrhein ausschöpfen können. Ich hoffe, es spekuliert niemand darauf, dass sich Fridays for Future und Parents for Future und die ganze For-Future-Bewegung unter der Corona-Decke schon irgendwie verflüchtigen würden? Das wird nicht geschehen! Jeder Hitzesommer, jede Dürre und jeder Tag über 20 Grad Celsius schon Mitte Februar wird diese Bewegung stärker machen.

Ja, fünfeinhalb neue Stellen für den Klimaschutz und 500.000 Euro für neue Solaranlagen sind ein starkes Zeichen. Aber rechnen Sie bitte einmal zusammen, welche Ausgaben allein in 2021 für Ausgaben zusammenkommen, mit denen wir uns schon heute konkret gegen den Klimawandel wehren: Aufforstungen, Grünpflege, Bewässerung von Neupflanzung in Wäldern und Grünanlagen, Trinkwasserversorgung in den Außenbezirken – ja, zählen sie den kompletten Tiefensammler dazu, den wir benötigen, um uns auf wachsende Risiken durch Starkregenereignisse vorzubereiten. Zählen wir alle Ausgaben des städtischen Haushalts zusammen, mit denen wir heute schon die Schäden durch den Klimawandel reparieren müssen, bewegen wir uns jetzt schon im Millionenbereich.

Auf der anderen Seite sehen wir Steuermittel für Kirchturmpolitik mit der Gießkanne verteilt: Trotz Corona und bei allem Sparwillen leisten wir uns in Dülken den Umbau einer Fußgängerzone in eine Autostraße für mehrere 100.000 Euro. Wir sind sicher die einzige Stadt dieser Größe, die sich eine eigene Stabsstelle für Krisenintervention leistet. Und jetzt sollen wir uns auch noch ein weiteres städtisches Kulturzentrum gönnen? Mit diesem Haushalt beschließen wir schon die Subventionierung des Bürgerhauses Dülken mit über 85.000 Euro jährlich für die nächsten 15 Jahre. Liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir da wirklich noch eine weitere städtische Veranstaltungshalle? Ein weiteres Groschengrab für den Steuerzahler? Wir hoffen, die Debatte um diese Schnapsidee verläuft bald wieder im Sande…

In dieser Relation betrachtet schrumpfen die Ausgaben für den Klimaschutz, mit dem man uns hier in diesem Haushaltsentwurf beeindrucken will, dann doch wieder schnell auf Normalmaß.

Meine Damen und Herren,

wir werden diesem Haushaltsentwurf zustimmen – nicht, weil wir ihn für den bestmöglichen halten, sondern weil wir mit ihm die Hoffnung verbinden, dass die Investition in fast sechs neue Verwaltungsstellen ausreichend Eigendynamik entwickelt, um – bei allem Sparzwang und Sparwillen – in einem Jahr einen besseren beschließen zu können. Um dann endlich konkrete Maßnahmen für das Klima, für Natur und Umwelt und für das nachhaltige und soziale Zusammenleben der Menschen in dieser Stadt festlegen zu können. Wir wünschen den neuen Verwaltungsmitarbeiterinnen und
-mitarbeitern der Stabsstelle Klimaschutz nicht einfach nur alles Gute, sondern Mut, Kraft und eine ganz große Portion Ausdauer, um die dicken Bretter aufzubohren, die jetzt vor ihnen liegen.

Um sie dabei zu unterstützen, haben wir einen neuen Vorschlag in die Diskussion eingebracht: Unser Antrag, der Stadt Viersen ein neues, nachhaltiges Leitbild zu geben, wurde am 22. Februar bereits vom Haupt- und Finanzausschuss mit Zustimmung aller Fraktionen als Arbeitsauftrag an die Verwaltung gegeben. Wir laden alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und alle demokratisch gesinnten Fraktionen des Stadtrats sowie die Verbände, Vereine und Initiativen dieser Stadt ein, sich aktiv in den Prozess für ein nachhaltiges Viersen einzubringen.

Frau Bürgermeisterin, Herr Canzler,

zu diesem Haushaltsentwurf erhalten sie von uns kein einfaches „Ja“, sondern ein klares „Ja, aber“. Wir verbinden mit unserer Zustimmung die deutliche Erwartung an die Verwaltung, dass sie ihren Verpflichtungen in allen Geschäftsfeldern nachkommt und die Beschlüsse dieses Rates in angemessener Frist umsetzt. Wir warten auf das Konzept „Zukunft Stadtgrün“, auf ein nachhaltiges Mobilitätskonzept, auf das Konzept zur Anpassung an den Klimawandel und auf die große Lösung für den Klimaschutz in Viersen. Rund 78.000 Einwohnerinnen und Einwohner warten mit uns. Lassen Sie uns die Wartezeit nutzen, um uns mit der Hilfe von Fachleuten ein nachhaltiges Leitbild zu geben, an dem wir unsere Stadt in den kommenden Jahren ausrichten können!

Wir bedanken uns beim Kämmerer, bei Frau Wöltering und den Kolleginnen und Kollegen der Finanzverwaltung für die wie immer gründliche und fundierte Aufstellung des städtischen Haushalts.

Vielen Dank auch für Ihre Aufmerksamkeit!